Drehbuch

Bücher
"Drei Dinge braucht der Film:
Ein gutes Drehbuch, ein gutes Drehbuch und ein gutes Drehbuch."

- Alfred Hitchcock -

Eine Romanverfilmung ist keine einfache Sache. Man kann zwar die Gefühle und Gedanken der Charaktere mit den Gesichtsausdrücken und den Stimmen relativ gut ausdrücken, aber das eigentliche Problem ist das richtige Timing. Die zeitliche Struktur in einem Roman kann sich sehr von der üblchen geradlinigen Erzählweise in einem Film oder in diesem Fall einer Serie unterscheiden. In einem Buch können allgemeine Beschreibungen genauso vorhanden sein wie langfristige Entwicklungen. In einer Serie muß eines nach dem anderen passieren (jedenfalls in den meisten Fällen).

Sehen wir uns einmal an, wie die Romanvorlage aufgebaut ist. Die Rahmenhandlung besteht aus den Hauptereignissen, die die Grundlage für die Geschichte bilden. Das ist noch kein Problem. Aber jetzt wird es schwierig. Das Buch ist in einem relativ beschreibenden Stil gehalten, d.h. die Handlung ist nicht lediglich es einzelnen Ereignissen oder Aktionen zusammengesetzt. Stattdessen gibt es eine Reihe von Schlüsselszenen, die miteinander lose auf verschiedene Weise verknüpft sind. Zum Beispiel kann die augenblickliche Lage durch eine simple Beschreibung abgedeckt werden oder ein Dialog zwischen zwei Schülerinnen informiert die Leser über Saras Situation. Manche Schlüsselszenen werden natürlich auch für später wichtig sein.

Szenenbild

"Sara stood quietly, with her eyes fixed upon Miss Minchin's face. She was thinking something odd, as usual."

(Im Anime hat sie sich nach einer Weile hingesetzt. ^_^)

Um dieses durch die für die Serie notwendige geradlinige Handlung geeignet wiedergeben zu können, muß die Essenz der Geschichte herauskristallisiert werden und in Rahmenhandlungen in den einzelnen Episoden geschickt eingebettet werden. Dabei sollten möglichst viele Details aus der Romanvorlage übernommen werden, sofern sie mit dem grundlegenden Layout vereinbar sind. Einige Beispiele für diese Details:

Wie schon oben erwähnt, müssen die einzelnen Teilstücke der Geschichte in die jeweiligen Episoden eingebettet werden. Zum Beispiel war das Kapitel im Buch, in dem Sara Lotties Ersatzmutter wurde nicht umfangreich genug, um eine Episode zu füllen. Deshalb wurde etwas zusätzliche Handlung in sie eingebaut: Lottie ist weggelaufen, und sie mußten sie erst finden, bevor Lottie das arme Frl. Amelia zur Verzweiflung treiben konnte. Das alles bedeutet natürlich, daß die Originalhandlung verändert wird, aber das muß ja nicht unbedingt schlecht sein. Die Handlung wird ja auch an mehreren Stellen explizit verändert, nicht nur mit zusätzlichen Handlungen angereichert. Dies hat zwei Gründe. Zum einen sind manche Szenen aus dem Buch nicht so geeignet, um sie eins zu eins in die Serie übernehmen zu können. Zum Beispiel glaube ich nicht, daß es besonders gut klingen würde, wenn Sara im Anime zu ihrem Vater sagt, daß sie sich wie ein Soldat fühlt, der in die Schlacht zieht.

Auch Schlüsselszenen müssen deshalb manchmal verändert werden besonders weil, und das ist der zweite Grund, sich die Sara im Anime etwas von der im Buch unterscheidet. Wie bei den Beschreibungen der Personen erklärt ist, stellt sich die Sara aus dem Anime nicht vor, eine Prinzessin zu sein. Also mußte die Szene, in der sie Frl. Minchin mit diesem Gedanken konfrontiert, entsprechend verändert werden. In der Serie war es der freundliche Monsieur Dufarge, der den Vergleich von Miss Minchin zu jener wütenden Bauersfrau gezogen hat, die König Alfred ohrfeigte. Die Sara in der Serie etwas realistischer ist, wurden die Stellen aus dem Buch über die Bastille und die französische Revolution weggelassen, das ist durchaus zu vertreten. Aber ich habe eine bestimmte Schlüsselszene vermißt, und zwar die, in der Sara einen "Streit" mit Emily hat. Ich glaube, eine bestimmte Szene aus der Serie hat dafür als Ersatz fungiert, aber ich bin sicher. In dieser Szene hat sich Sara furchtbar geschämt, daß sie ein kleiner Junge für eine Bettlerin gehalten hat. Es gab eine Großaufnahme von Emily, aber das war alles. Es ist vermutlich ziemlich schwierig, diese spezielle Szene adäquat umzusetzen. Ich habe einmal einen Versuch in einer anderen Sara-Version (mit Amelia Shankley) gesehen, der aber meiner Meinung nach kläglich gescheitert ist.

Szenenbild

"She quite made Lottie see them, too. Lottie could always believe in the things Sara made pictures of."

Jetzt haben wir also ein gutes Skript, das mehr im erzählenden Stil gehalten ist und sich trotzdem eng an die Vorlage hält. Aber besser wäre es doch, wenn wir stattdessen ein sehr gutes Skript hätten. Das Buch dreht sich hauptsächlich nur um einige wenige Personen, in den meisten Fällen Sara, Frl. Minchin und Ermengarde. Fast die ganze Geschichte spielt sich innerhalb des Internats ab und wirkt dadurch wie ein Theaterstück (was sie schließlich auch ursprünglich war). Für Filme oder Serien bietet sich hier eine große Chance. Das Internat ist in London und in London leben viele Menschen. In 'Die kleine Prinzessin Sara' wird die Chance genutzt, die ganze Geschichte mit Leben zu erfüllen. Sie führt eine Reihe von neuen Charakteren ein, die entweder im Roman nur kurz erwähnt werden, oder gänzlich neu sind, obwohl sie immer in irgendeiner Weise mit der Originalgeschichte verbunden sind. Die zusätzlichen Charaktere sind so gut in die Geschichte integriert, daß die Serie viel an Charme gewinnt. Hier sind die wichtigsten:

Mit diesem sehr guten Skript können wir jetzt schon zufrieden sein. Hm, aber wie wäre es mit einem wirklich exzellenten Skript? Ok.
Es wurden mehrere Maßnahmen ergriffen, um die Dramaturgie zu verbessern. Im Roman fand das geplatzte Fest auf dem Dachboden kurz vor dem Wunder statt, um einen Kontrast zu erzeugen. Es ist, als ob man das Licht am Ende des Tunnels erblickt. Diese Technik ist erwartungsgemäß sehr nützlich und wurde in der Serie sehr effektiv eingesetzt. Das Fest wurde kurz vor die Sache mit der Silbermünze verlegt (der Grund dafür ist einfach) und durch eine 2 Episoden lange Schauergeschichte ersetzt, die ich hier nicht erzählen kann, da ich niemanden erschrecken will. Aber wartet nur ab, bis erst das Wunder geschieht. Ein unvergeßliches Erlebnis!

Szenenbild

"Alfred the Great, for instance, burning the cakes and getting his ears boxed by the wife of the neatherd. How frightened she must have been when she found out what she had done."

Wir kommen jetzt zu etwas, das für mich ein wahres dramaturgisches Meisterstück ist. In der Romanvorlage fordert Frl. Minchin von Sara, ihr für ihre "Güte" dankbar zu sein, und zwar kurz nach dem Tod ihres Vaters. Saras Antwort hat Frl. Minchin recht geärgert. In der Serie war sie aber am Anfang noch zu scheu und wurde auch gewissermaßen von Frl. Minchin überrumpelt. Und jetzt aufgepaßt! Stattdessen wurde Saras Antwort an eine bestimmte Episode ziemlich am Ende verlegt. In den Episoden zuvor wurde kontinuierlich eine Spannung aufgebaut, die sich dann in einem einzigen Knall eindrucksvoll entlädt. Aber Frl. Minchin hat sich tatsächlich einen unpassenden Zeitpunkt ausgewählt, so wütend auf Sara zu werden. Es war genau der Zeitpunkt, an dem letztendlich Sara von ihr die Nase voll hatte.

Keine Sorge, wenn nicht alles auf dieser Seite von Anfang an verständlich sein sollte. Das klärt sich alles, sobald man das Buch gelesen oder die Serie angesehen hat.


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Taro Rehrl (e-mail), 1997-01-03, 2002-08-17