3. Eine Geschichte erzählen

World Masterpiece Theater - das könnte man übersetzen mit "die größten Geschichten der Welt" (für Kinder). Das trifft meiner Meinung nach auf diese Geschichte zu, wie keine andere. Das erzählerische Element ist in der Serie deshalb vorherrschend, und das ist gut so. Auch die Regie tut alles daran, so gut wie möglich zu erzählen.

Doch wie stellt man das an? Darauf gibt es kein leider Patentrezept. Man muß eine Menge Entscheidungen treffen darüber, wie das Ergebnis letztendlich aussehen soll. Diese Entscheidungen sind dann sicher auch charakteristisch für den jeweiligen Regisseur. Vielleicht erst ein kleiner Überblick, wie ich mir die aufkommenden Fragen vorstelle. Das Drehbuch schreibt dabei die grobe Handlung vor, also welcher Teil der Geschichte gerade erzählt wird.

Wie gesagt, es gibt keine Methode, um systematisch Antworten auf diese Fragen zu finden. Gäbe es eine, wäre Regie führen auch keine Kunst mehr. Das Schöne an der ganzen Sache ist, daß wenn man ein Künstlerherz hat, oder anders gesagt die Inspiration einem etwas zur Seite steht, ergeben sich eine Menge der Antworten praktisch von selbst.

Eine Einweihung in die exklusiven Geheimnisse des Regie führens gibt es also nicht, aber was ich machen kann, ist zu demonstrieren, wie Fumio Kurokawa speziell bei dieser Geschichte in einigen Szenen vorgegangen ist.

Visuelle Anekdote

Das Bild oben habt ihr sicher schon gesehen, bevor ihr bis hierher gelesen habt. Es ist irgendwie ein kleines Markenzeichen der Serie, immer wieder einmal solche kleinen Anekdoten zu erzählen. Ein anderes Beispiel war auch oben auf der Einleitungsseite zu sehen. Bereits aus so etwas kann man schon einiges herauslesen. Zum einen sind solche Szenen nicht nur als Gag gedacht. Denn wem ist es nicht schon einmal aufgefallen, daß unser Alltag ebenfalls solche kleinen Geschichten schreibt? Genau durch diesen Umstand wirkt alles noch ein wenig vertrauter und realistischer. Und andererseits kann man gut beobachten, wie hier die Pointe gesetzt wird. Sara schaut verwundert nach unten. Was sie dort sieht, erfahren die Zuschauer erst kurz darauf. Durch dieses Vorenthalten von Information wird eine Spannung aufgebaut, die dann durch die nächste Einstellung aufgelöst wird. So kann man mit Bildern erzählen.

Nun zum ersten größeren Beispiel. Dieses, und das folgende habe ich schon vorher vorbereitet; sie waren bisher in einer eigenen Abteilung zu sehen. Ich habe sie jetzt in diese Sektion integriert und teilweise mit neuem Text versehen.

In dieser Szene ist Sara mit ihrem Vater eben im Internat angekommen, und die beiden werden gerade von Frl. Minchin herumgeführt. Dabei bemerkt sie noch ein paar allgemeine Dinge und zeigt ihnen schließlich Saras Zimmer. Ist es nicht langweilig, nur Frl. Minchin beim Reden zuzuhören und Leute beim Treppensteigen zu beobachten? Man könnte die Szene einfach drastisch verkürzen und zum Beispiel die Zimmertür von innen filmen, bis sie Frl. Minchin von außen öffnet. Aber der Regisseur nutzt diese Gelegenheit, um sich mehr auf Sara zu konzentrieren.

Einstellung 1

Ein Fenster kann faszinierend sein, besonders, wenn man noch ein kleines Kind ist. Vielleicht gibt es draußen etwas interessantes zu sehen?

Einstellung 2

Sara bildet keine Ausnahme. Sie würde schon gerne aus dem Fenster sehen, aber . . .

Einstellung 3

. . . die anderen sind schon voraus, und sie muß sich beeilen, um nicht zurückzubleiben (sie ist ja auch schon auf der Treppe).

Einstellung 4

Aber es gibt noch eine Gelegenheit. Saras Zimmer liegt einen Stock weiter höher.

Einstellung 5

Und diesmal klappt es!

Einstellung 6

Ende

Selbstverständlich ist das nicht das Ende. Sara reißt sich bald vom Fenster los, um endlich ihr Zimmer zu sehen. Die Kamera bleibt im Zimmer dann immer noch bei Sara, denn ihr Vater und Frl. Minchin reden noch eine Weile über langweilige Erwachsenen-Dinge. Hier wird also deutlich die Sichtweise eines noch kleinen Kindes demonstriert. Die Dialoge der Erwachsenen, die man teilweise nur im Hintergrund hört, stehen im Kontrast zu einer sehr visuellen Erlebniswelt von Sara. All das ist ziemlich unwichtig für die eigentliche Handlung, aber um so wichtiger für die Atmosphäre und die Charakterisierung.

Am zweiten Beispiel kann man sehen, wie man Handlung gut ins Bild setzt und sogar noch etwas mehr rüberbringt.

  1. Einige Beispiele
  2. Das dreidimensionale Dilemma
  3. Eine Geschichte erzählen
  4. Teile vom Ganzen
  5. Nichts vergessen?


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Taro Rehrl (e-mail), 1998-09-20, 2002-08-17